Eine Zugbegleiterin erklärt, dass sich ihre Kollegen und sie immer freuen, wenn sie ihr Dienst um die Mittagszeit nach Marchegg bringt: „Weil man hier zu fairen Preisen ein sehr gutes Menü bekommt.“
Mittwochs gibt es immer Backhendl, freitags Fisch oder gebackene Leber. Das Menü kostet 9,70 Euro, ein großes Staro Brno 4,50 Euro. „Schade nur“, meint die ÖBB-Mitarbeiterin, „dass unsere Lokführer hier immer nur ein paar Minuten Pause haben“.
Reste oder Resti?
Die Stimmung auf diesem alten Grenzbahnhof ist hundertmal besser als in vielen anderen Bahnhöfen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Marchegg weiterhin ein Bahnhofsresti (Resti? Manch einer sagt auch Reste) besitzt.
„Leider sterben diese alten Kleinode langsam aus“, sagt Marktforscher Michael Alexander Populorum. Der private Eisenbahnforscher aus Salzburg hat im Laufe der Jahre gut 150 Gastrobetriebe auf Bahnhöfen von Bregenz bis Marchegg besucht, fotografiert und sie auf seiner Internetseite gewürdigt. Zum KURIER sagt er: „Die Hälfte hat inzwischen zugesperrt.“
„Die To-go-Kultur“
Bald einmal ist im „Gasthaus zur Schiene“ die Melange und der große Braune geleert – und es beginnt das kollektive Kaffeesudlesen: „Ein Grund, warum die Betreiber der Bahnhofsrestis zuletzt arg unter Druck geraten sind“, vermutet einer der Gäste, „ist der allgemeine Zeitdruck“.
Die Zeit, als Wien-Pendler aus dem Burgenland in der Früh auf dem Südbahnhof noch einen Schluck oder zwei vom Bier oder Wein nahmen und erst dann weiter auf ihre Baustellen fuhren, ist ebenso schon länger Geschichte, wie auch der alte Südbahnhof.
Durchgesetzt habe sich „die To-go-Kultur“, meint ein anderer Gast. Die Menschen heute kaufen sich in der Früh ihren Kaffee im Pappbecher und ihr Kipferl im Papier. Der Zug der Zeit: Weil Zeit Geld ist, isst und trinkt man heute im Zug. Davon haben zuletzt die Bäckerketten mehr profitiert als die Bahnhofswirte.
Die ÖBB in der Kritik
Der mit der Eisenbahn weit gereiste Salzburger Michael Alexander Populorum wirft den ÖBB vor: „Die, die für die Immobilien der Eisenbahn verantwortlich sind, wollen die Gastronomie nicht mehr auf den Bahnhöfen haben, weil sie ihnen zu viel Arbeit macht.“ Der Vorwurf ist wohl gewagt. Faktum ist, dass im Zuge der Bahnhofsinitiative viel Wert auf die Corporate Identity gelegt wird, jedoch der Bahnhof als Plattform für Begegnung keine große Rolle mehr spielt. Jemand betritt das „Gasthaus zur Schiene“ in Marchegg und fragt, ob es einen Schienenersatzverkehr nach Bratislava gibt. Im Nu kann ihm geholfen werden.
In all den Bahnhöfen ohne Bahnhofsresti oder Verkaufsstelle müssen die Fahrgäste ihr Mobiltelefon befragen, weil ihnen dort die Fahrscheinautomaten keine Auskunft geben können.
Schön zu beobachten in Marchegg: Im Laufe der Zeit taut die Wirtin Gabi immer mehr auf. Dann ruft sie auch ihren Bruder Martin aus der Küche, und die Geschwister erzählen, dass sie täglich in der Früh aus ihrem Heimatort an der Grenze zwischen der Slowakei und Tschechien fast 100 Kilometer anreisen, um auf der österreichischen Seite die Gäste und Fahrgäste so gut wie möglich zu betreuen.
In wenigen Tagen haben die beiden Wirtsleute etwas zu feiern: „Dann gibt es uns seit zehn Jahren hier.“
Wo die Eisenbahner essen
Die Schaffnerin steigt wieder in den Zug und fährt zurück zum Wiener Hauptbahnhof. Sie sagt: „Ich werde schon bald als Gast zurückkehren. Denn eines ist sicher: Wir Eisenbahner wissen, wo man gut essen kann.“
Die Frage ist nur, ob denn „die beiden Slowaken weitere zehn Jahre über die Grenze zur Arbeit kommen wollen“. Raunt jemand im „Gasthaus zur Schiene“. Gastronomie auf Bahnhöfen bringe kein leicht verdientes Geld. „Ein weiterer Grund für das Restisterben“, meint ein anderer.
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