Wie Glitzer-Esoterik das Patriarchat wieder attraktiv machen will

Habt ihr euch immer schon gefragt, warum so viele Beziehungen scheitern? Warum so viele Männer einsam sind?
Die falsche Antwort jedenfalls liefern euch selbsternannte Lebens- und Identitätscoaches im Internet. Das musste ich feststellen, als ich beim Scrollen im Internet auf die unzähligen Herren in Kurzarm-Hemden mit Energiestein-Lederketten gestoßen bin, die esoterische Beziehungstipps geben. Auf sphärische Gospel-Drill-Musik gebettet, schwurbeln sie von "männlicher und weiblicher Energie". Und dabei tun sie vor allem eines: Patriarchale Geschlechterrollen in romantischen Beziehungen verklären.
Willkommen in einem sehr schrägen Seitenarm der Manosphere (Manosphere ist eine Sammlung von Websites, Blogs, Foren, etc., die maskulinistische, frauenfeindliche und anti-feministische Inhalte propagieren, Anm.).
In ihren Videos auf Instagram und TikTok erklären die vermeintlichen Energie-Experten in Liebesg’schichten und Heiratssachen etwa Folgendes:
“So viele Beziehungen scheitern, weil Frauen in die männliche Energie gedrückt werden, weil der Mann seinen Posten verlassen hat. Das führt dazu, dass sie mehr kontrollieren, dass sie den Respekt vor dem Mann verlieren. Dadurch geht die Polarität flöten und mit ihr die Anziehung.”
Aha. Wie bitte? Was für Energie?, dachte ich.
Ein Wisch nach oben. Nächstes Posting: “Wünschst du dir nicht auch einen Mann, der die Führung übernimmt? Hast du ihm je die Chance gegeben? Geh zurück in deine weibliche Energie und lass ihn die Führung übernehmen”.
Nein, danke. Ich habe in meinem Leben schon genug Männer, die Führung wollen. Ich muss unweigerlich fest mit den Augenrollen, ich bekomme leichte Kopfschmerzen.
Dann folgt der hemdsärmelige Teil: Pressierte Heilsversprechungen darüber, was sich positiv verändere, wenn Frau oder Mann wieder “in die ihrem Geschlecht entsprechende Energie” kommen. Spoiler: Angeblich tolle Beziehung, toller Sex, tolles Leben.
Von welchen Energien ist die Rede?
In der Esoterik steht männliche Energie (“Yang”) für Zielstrebigkeit, Entschlossenheit, Motivation, Leistungsfähigkeit. Während die weibliche Energie ("Yin") für Empfänglichkeit, Mitgefühl und Pflege steht.
Die selbsternannten Lifecoaches bedienen sich Energie-Esoterik und chinesischer Philosophie und reproduzieren rückschrittliche und sexistische Geschlechtertypen: Frauen sollen weniger Leistung bringen wollen, weniger entschlossen sein. Warum? Weil sie sonst zu sehr in ihrer männlichen Energie seien. Und das täte den Frauen nicht gut. Sie sollen sich eher aufs Pflegende und Empfängliche konzentrieren.
Männer hingegen, die zu liebevoll, rücksichtsvoll, ergo "verweichlicht“ seien, sollen zurück in ihre männliche Energie. Und da Führung übernehmen, sich weniger mit so was "Weiblichem" wie Gefühlen auseinandersetzen. Nach dem Motto: "Hör auf zu fühlen und sei ein Mann."
Care-Arbeit liegt wieder bei Frauen
Das kommt Ihnen bekannt vor? Richtig. Und wir dachten, wir sind schon weiter. Aber nun kommt die Esoterik und macht aus dem alten "Sie weint, er baut einen Kasten auf" ein neues Mandala. Wieder dürfen Männer nichts spüren, sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen und schon gar nicht über ihre Gefühle reden. Während Frauen die emotionale Arbeit machen und sich unbezahlt um die ungelösten und unreflektierten Emotionsstörungen der Partner kümmern und schön brav fürsorglich und empfänglich sein sollen.
Besonders perfid sind die esoterischen Liebesratgeber aber auch, weil sie in vulnerable Menschen dort ihre toxischen Samen pflanzen, wo sie wund sind: Dort wo Einsamkeit und Schmerz empfunden wird. Wer unglücklich und unsicher ist, ist weniger resilient gegen Schwurbeleien. Das kennen wir auch aus anderen Belangen.
Epidemie der einsamen Männer
Perfekter aufgewühlter Nährboden für weitere maskulinistische Mythen. Fest mit dem "Ungleichgewicht der Energien" verwoben ist etwa auch die nächste Verschwörungserzählung: Male Loneliness Epidemic, also der Erzählung einer Epidemie von einsamen Männern. Die Mär findet sich zwar auch in anderen Grätzeln der Manosphäre, aber sie wird eben auch hier reingehämmert.
An der männlichen Einsamkeit sollen dann in der esoterischen Erklärung Frauen schuld sein, die zu stark in ihrer "männlichen Energie sind" und die "verweichlichten Männer".
Der Fokus liegt dabei wieder nur auf den Bedürfnissen der Männer, statt darüber zu reden, wieso die “armen” Männer nicht gewollt werden. Was sind die Ursachen?
Die männliche Einsamkeit kann real sein. Sie liegt aber nicht daran, dass einsame Männer zu wenig Testosteron haben oder daran, dass sich Frauen von ihnen abgewandt haben, weil wir uns in unserem Hexenkreis alle gemeinsam geeinigt haben, dass Männer blöd sind. Sondern einfach, weil Frauen Männer nicht mehr brauchen und diese auch nicht wollen, wenn sie keine Bereicherung für ihr Leben sind und emotional unzulänglich sind.
Und viele Männer sind einsam, weil sie keine echten Beziehungen pflegen dürfen. Weil „Verletzlichkeit“ als weiblich gilt. Weil ihre Version von Freundschaft oft darin besteht, nebeneinander zu zocken und dabei nicht über Gefühle zu reden.
Schuld daran sind aber auch nicht die einsamen Männer selbst, sondern das Patriarchat, das ihnen jahrhundertelang eingebläut hat: Sei stark. Sei unabhängig. Sei alleine.
Merke: Auch Männer leiden unter dem Patriarchat. Es gibt keine Epidemie. Es liegt auch nicht an geschlechtsspezifischen Energien. Du, lieber Mann, musst von Frauen gewollt werden, weil wir dich nicht mehr brauchen. Und: Auch wenn die Esoterik der Energien harmlos und wohlwollend daherkommt, lasst euch nicht davon täuschen. Deren Ziel ist nicht eurer Liebesglück, sondern patriarchale Beziehungsmuster wieder attraktiv zu machen – dieses Mal wird es nur mit Eso-Glitzer kaschiert.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
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