Doch New York hat sich verändert. Es ist nicht mehr die Stadt der Künstler und der Intellektuellen, sondern die der Immobilienhaie. Normale Menschen können sich das Wohnen hier kaum mehr leisten, ja, eigentlich nicht einmal mehr einen Kaffee.
Schon bei der Einreise spürt Nina und mit ihr die Leserin: Dieses Land ist rauer geworden. Bei der Passkontrolle am Flughafen liegt eine Frau auf dem Boden. Wer die USA kennt: Die Einreise in dieses Land war schon vor zwanzig Jahre ein Horror. Heute steht jeder, der hereinwill, und sei es auf Kurzbesuch, unter Generalverdacht. Das Freiheitsversprechen ist weiter weg denn je, die Ungleichheit ist ins Unendliche gewachsen, der Lebenskampf, den Nina auch bei ihren Bekannten erlebt, ist härter. „Auflösungen“ ist auch ein Abschied von all den Möglichkeiten, die ach so unbegrenzt wohl ohnehin nie waren.
Warum Nina hier ist, hat auch mit einer Flucht aus Wien zu tun. Eine Bekanntschaft, ein „Parship-Mann“, meldet sich nach der ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr. Nina ist 56, als Frau fühlt sie sich abgemeldet und unsichtbar. Und das, obwohl Lust und Verlangen ein großes Thema sind.
Korruption und Alkohol
Vor allem hat Nina familiäre Probleme in Wien zurückgelassen. Ihre erwachsene Tochter hat beschlossen, sich um den schwierigen Vater zu kümmern. Ninas Ex-Mann ist ein hoher Beamter, Jurist, der die Korruption der alten Schule kennt, aber mit jener der heutigen Politik nicht mithalten kann. Alkoholkrank, versinkt er im Sumpf seiner Sucht. In Interviews nannte Streeruwitz einen bekannten Sektionschef als Vorbild für diese tragische Figur. Auch Politiker tauchen immer wieder auf. Deren Namensnennungen wirken banal, öffnen jedes Mal eine tiefe Kluft zum Literarischen dieses Buches, in dem etwa US-Schriftsteller Henry James und Dichter Frank O’Hara zitiert werden.
Was Nina einst zu diesen konservativen Sphären zog? Das hat vielleicht mit ihrem Elternhaus zu tun, an das sie immer wieder während ihrer Stadterkundungen denkt. Im Kontrast dazu steht ihr Engagement für Redefreiheit und ihre Empörung über die ungleiche Verteilung von Macht. Zugleich bleibt sie skeptische Beobachterin, und zwar aller Seiten – auch ihrer Studenten, die „alle so woke wie möglich“ sind.
Im zweiten Teil des Romans irrt sie nach einem diffusen Gewalterlebnis (ausgerechnet, als sie einem Obdachlosen helfen will) durch die Stadt. Sie lässt ihr Leben einem Bewusstseinsstrom gleich Revue passieren, ebenso die Gegenwart. Und stets ist da dieses Gefühl: Wie schafft es Marlene Streeruwitz bloß, immer exakt da zu sein, wo die Welt gerade ist?