Markus Meyer staunt selbst: "Die 250. Vorstellung. Wer hätte das gedacht?" Man muss schon lange nachdenken, um Produktionen mit ähnlich langer Laufzeit oder ähnlich vielen Vorstellungen zu finden. 1985 brachte Claus Peymann bei den Salzburger Festspielen „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard zur Uraufführung. 1986 begann er seine Burgtheater-Direktion mit ihr – und 1999 nahm er sie mit ans Berliner Ensemble. Die letzte Vorstellung fand im Jänner 2005, also knapp 20 Jahre später, statt. Vielleicht knackt Markus Meyer, Jahrgang 1971, auch diesen Rekord - noch dazu mit einem Solo-Abend.
KURIER: Ich denke bei Cloppenburg an einen Modehändler. Und Sie?
Markus Meyer: Die norddeutsche Heimat: Äcker, Wiesen, Eichenwälder, das Moor und die Heide, das flache Land. Man sieht morgens schon, wenn man nachmittags Besuch bekommt. So platt ist es.
Wie kam es, dass Sie Schauspieler wurden? Sie haben ja zunächst Biochemie in Hannover studiert.
Ich habe damit gerechnet, dass ich nach dem Abitur – beziehungsweise der Matura – meinen Kriegsdienstverweigerer mache, also zwei Jahre in der Behindertenwerkstatt arbeite, ich hatte bereits diesen Platz. Und plötzlich wurde ich zurückgestellt, ich musste anfangen zu studieren. Mein Vater wollte immer, dass ich in die Naturwissenschaften gehe, weil er meinte: „Da verdient man Geld, Junge!“ Ich hatte aber auch ein Faible für diese Fächer. Deshalb kam ich auf Chemie und Biochemie. Schauspiel war allerdings mein Wunsch schon als Kind: Ich war immer derjenige, der Gedichte vorgetragen hat, der vorsingen musste oder durfte, der in den Theatergruppen war. Aber ich kam aus der Provinz und dachte mir: Schauspielen, das machen die Leute aus den Großstädten. Ich habe mich das nicht getraut.
Wie wäre die Reaktion Ihrer Eltern gewesen?
Nicht amüsiert. Die haben meinen Wunsch als Spinnerei abgetan und wohl gehofft, dass ich irgendwann nachlassen werde. Aber in Hannover gibt es eine Schauspielschule. Ich hab‘ mich zum Vorsprechen angemeldet, bin in der ersten Runde kläglich gescheitert, aber hab‘ gemerkt: Das ist es! Damals gab es noch eine Altersbeschränkung für die Aufnahme, sie lag für Männern bei 25 Jahren. Das hieß, dass mir die Zeit weglief. Ich bin dann richtig auf die Bewerbungstour gegangen, hab‘ auch in Salzburg vorgesprochen, in Stuttgart, Bochum, Rostock, Hamburg. Und in Berlin hat es an der Ernst Busch geklappt.
Ihr Studium in Hannover haben Sie beendet?
Ja, ich habe meine Diplomarbeit geschrieben über Hitzeschock-Proteine bei Mykoplasmen.
Markus Meyer heute - bei der 249. Vorstellung von "Dorian Gray"
Und Klaus Bachler wollte Sie als neuer Direktor ans Burgtheater holen?
Aber ich hatte auch das Angebot von Herrn Peymann, ans Berliner Ensemble zu gehen, und war damals in Berlin liiert. Ich wollte daher nicht weg, hatte fünf schöne Jahre bei Claus Peymann. Er war beleidigt, als ich 2004 dann doch ans Burgtheater ging.
Andrea Breth wollte Sie für Ihre Inszenierung von „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ …
Elisabeth Orth – damals mit Andrea Breth an der Berliner Schaubühne arbeitend – hatte einen Lehrauftrag an der Ernst Busch. Sie hat mit mir den „Fiesco zu Genua“ von Schiller erarbeitet, da haben wir uns kennen und mögen gelernt – und den Kontakt aufrechterhalten. Der Bruch mit meiner damaligen Beziehung war ein entscheidender Motor dafür, dass ich weg bin aus Berlin. Ich bereue es nicht, es gefällt mir sehr gut in Wien.
Sie sagen „Matura“. Das heißt, Sie sind hier heimisch geworden?
Ich achte die österreichischen Begriffe und Betonungen. Ich sage Melanzani und Paradeiser und Erdäpfel. Ich finde das schön. Man erkennt natürlich, dass ich nicht aus Wien komme, ich versuche auch nicht, das Idiom nachzumachen. Das wäre peinlich. Ich fühle mich heimisch und habe auch keine Ambitionen wegzugehen.
Sie sind ein toller Ensemblespieler – zum Beispiel in „Orlando“, in „Manhattan Project“ und im „Zauberberg“. Sie drängen sich nicht in den Vordergrund, sondern versuchen, dem Stück und der Inszenierung zu dienen.
Das stimmt.
Und als Kontrapunkt spielen Sie seit 15 Jahren den Dorian Gray. Wie kam es dazu? Bastian Kraft hat Ihnen das Solo für seine Abschlussinszenierung als Regieassistent angeboten?
Er fragte mich, welche der drei großen Rollen ich spielen will. Ich entschied mich für den bösen Henry. Und eine Woche später fragte er mich, ob ich nicht alle Rollen übernehmen will: „Du spielst live den Dorian Gray – und interagierst mit deinen Alter Egos, die auf Leinwänden zu sehen sind.“ So was hatte noch nie jemand gemacht, es war eine große Herausforderung und hat uns allen im Team, darunter Arthur Fussy, Barbara Sommer, Dagmar Bald und Peter Bauer, großen Spaß gemacht. Für eine Abschlussarbeit war die Inszenierung sehr groß gedacht. Aber in der damaligen Direktion war man nicht so angetan. Waren es künstlerische Gründe? War es Neid? Ich weiß es nicht. „Dorian Gray“ sollte schneller als gedacht abgesetzt werden.
Premiere 2010: Markus Meyer spielte live den Dorian Gray - und interagierte mit den Alter Egos in den Videoeinspielungen
Matthias Hartmann war Direktor, die Produktion kam im winzigen Vestibül heraus.
Alle Vorstellungen waren sofort ausverkauft. Wir haben nicht verstanden, warum wir nicht weiterspielen durften. Aber dann hat sich das Publikum stark gemacht – und Generalsekretär Gerhard Blasche, damals quasi der Kanzler hier am Haus, hat die Produktion geliebt. Er hat sich in der Direktion dafür eingesetzt.
Hartmann wurde 2014 gefeuert, Karin Bergmann übernahm fliegend.
Sie hat sofort gesagt: „Das kommt ins Akademietheater!“ Und seither spielen wir dort, aber es gab auch schon Vorstellungen im Burgtheater.
Und nun, am Montag, spielen Sie den Dorian Gray zum 250. Mal.
In Wien. Insgesamt, mit den Gastspielen, darunter in Mexiko, sind es noch mehr.
Bastian Kraft hat für die 200. Vorstellung einen neuen Eingangsmonolog geschrieben. In diesem erklären Sie, dass es in der Inszenierung genau andersrum ist wie in der Vorlage …
Genau, denn Dorian Gray bleibt im Original jung, nur sein Bild wird älter. Im neuen Monolog rede ich als Markus Meyer darüber, wie es ist, alt zu werden – während ich auf den Screens jung bleibe. Wir haben das thematisiert, weil vielen im Publikum nicht klar war, dass ich das auch in den Videos bin. Es kam häufiger die Frage, warum sich zum Schluss die anderen Schauspieler nicht verbeugt haben.
Wird Ihnen die Rolle schon langsam fad?
Nein, überhaupt nicht. Mit zunehmendem Alter spreche ich bestimmte Passagen anders, weil ich jetzt eher weiß, worum es geht, wenn man vom Altern spricht, als noch vor 15 Jahren.
Ich hoffe, dass „Dorian Gray“ bleibt. Es ist längst nicht mehr im Abo – und verkauft sich trotzdem gut. Zuletzt sagte eine Dame zu mir: „Ich hab‘ das jetzt zum achten Mal gesehen!“ Mich erheitert die Vorstellung, dass mittlerweile Lehrerinnen und Lehrer im Publikum sitzen, die „Dorian Gray“ schon in ihrer Schulzeit gesehen haben.
Wissen Sie schon, was Sie in der nächsten Saison spielen?
Ich weiß es noch nicht. Vielleicht werde ich in „Zu ebener Erde und erster Stock“ mitspielen, inszeniert von Bastian Kraft. Ich hab‘ ja schon einige Erfahrung mit Nestroy: „Höllenangst“, „Talisman“, „Liebesgschichten und Heiratssachen“ … Ich liebe ihn und seine Sprache!
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