Das Dekret ist Teil eines Mega-Reformpakets, das Milei erlassen hat und auf die Privatisierung verschiedenster Sektoren im Land abzielt. Hintergrund: Der Rechtspopulist will Argentinien grundlegend umbauen. Der Staat soll so klein wie möglich gehalten, möglichst viele Bereiche privatisiert werden, darunter Bildung, Gesundheit oder Medien.
„Heimat nicht verkaufen!“
Und nun eben auch der Vereinssport. Doch ganz so einfach wird es wohl nicht – denn wenn in dem Land, das auch amtierender Weltmeister ist, ein Thema emotionalisiert, dann ist es der Fußball.
So brachte Milei mit seiner Ankündigung prompt Argentiniens Fußballverband AFA, die meisten Vereine – darunter große Namen wie Boca, River oder Racing – und damit quasi das halbe fußballverrückte Land gegen sich auf. Vollblutfans starteten Petitionen gegen die Öffnung für Investoren. In den Stadien skandieren sie in Sprechchören: „Der Verein gehört den Mitgliedern!“ und halten Plakate mit der Aufschrift „Die Heimat ist nicht zu verkaufen!“ hoch.
Um zu verstehen, warum Mileis Vorhaben derart polarisiert, muss man Argentiniens tief verwurzelte Fußballkultur kennen. Die Klubs sind dort per Gesetz gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Mitgliedervereine, sogenannte asociaciones civiles. Investoren gibt es keine, dafür staatliche Subventionen. Die Fans wählen den Vorstand, der die Klubpolitik bestimmt. Etwa, wie die Einnahmen aus Transfers, Mitgliedsbeiträgen oder TV-Geldern genutzt werden sollen.
Soziales Gut
Dieses Modell, das die leidenschaftliche, fast schon familiäre Bindung zwischen Fan und Verein befeuert, hat in Argentinien eine über hundertjährige Tradition. Fußball wird dort zudem als soziales Gut verstanden. So übernehmen die Klubs auch gesellschaftliche Aufgaben. Viele von ihnen betreiben integrierte Nachmittagsbetreuungen, Seniorentreffs, Kulturzentren oder Kantinen.
Kinder aus sozial schwachen Familien sollen dort aufgefangen werden – und gleichzeitig die Werte der nationalen Fußballkultur erlernen. „Jedes Kind, das in einem solchen Verein spielt, ist eins weniger auf der Straße“, erklärt der ehemalige Spieler César La Paglia in einem Interview.
Seit Mileis Amtsantritt im Jahr 2023 hat der soziale Aspekt eine neue Relevanz bekommen. Der selbst ernannte Anarcho-Kapitalist, der gerne mal mit Kettensäge im TV auftritt, um seine Reformwut zu unterstreichen, hat dem Land ein radikales Sparprogramm verordnet. Er hat Tausende Staatsbedienstete entlassen und zahlreiche Sozialprogramme gekürzt. Viele sind dadurch in die Armut gestürzt: 38 Prozent der Menschen in dem südamerikanischen Land leben unterhalb der Armutsgrenze, 18 Prozent sogar in extremer Armut.
Blick nach Brasilien
Stellt sich also die Frage, warum Milei, der selbst einmal Torhüter bei den Chacarita Juniors war, einen Kulturkampf mit der argentinischen Fußballwelt riskiert? Als Vorbild dürfte ihm Brasilien gedient haben. Dort ermöglichte der rechtspopulistische Ex-Präsident Jair Bolsonaro 2021 den Einstieg für Investoren.
Mileis Vorstoß findet zudem bei jenen Anklang, die meinen, dass Argentinien seine Vereinskultur längst professionalisieren hätte müssen. In den letzten Jahren seien zu viele junge Talente in Richtung Europa abgewandert. Die Bedingungen in der Heimat seien zu schlecht, die Infrastruktur zu marode und die Vereine chronisch pleite – bei aller Liebe. Ohne das Glück, selbst einen Weltklassespieler hervorzubringen, bekäme kein argentinischer Verein einen ab, so der Tenor.
Der argentinische Fußballbund AFA lehnt Mileis Privatisierungspläne jedenfalls ab und hat rechtliche Schritte eingeleitet. Ein Gericht hat die Umsetzung von Mileis Dekret vorübergehend gestoppt. Derweil wird eine Kompromisslösung ins Spiel gebracht, um die Wogen zu glätten. Nach deutschem Vorbild könnte eine „50+1“-Regel Abhilfe schaffen: Investoren dürfen einsteigen, solange die Mitglieder mehr als die Hälfte der Anteile halten.
Ob das die argentinische Fußballseele beruhigen kann, ist allerdings eine andere Frage.
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