Die Wut Hunderter richtet sich gegen Migranten. Nacht für Nacht kommt es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Die setzt Tränengas und Gummigeschoße ein, die Demonstranten greifen mit Steinen und Brandsätzen an. Ein Freizeitzentrum im benachbarten Ort Larne, das vor allem von Migranten besucht wird, ging Mittwoch Nacht in Flammen auf. Menschen, ausländischer Herkunft, etwa von den Philippinen haben die betroffenen Ortschaften aus Angst vor Übergriffen verlassen.
Kriminelle Banden als Drahtzieher
30 Jahre Bürgerkrieg - zwischen den pro-britischen Protestanten und den pro-irischen Katholiken - haben in Nordirland bis heute ihre Spuren hinterlassen. In den sozial benachteiligten Vierteln größerer Städte ist der Einfluss gewaltbereiter Gruppierungen - sie kämpften im Bürgerkrieg gegeneinander - weiterhin groß. Diese finanzieren sich häufig über Drogenhandel, oder illegale Prostitution und horten immer noch Unmengen an Waffen.
Vor allem unter Jugendlichen in den Protestanten-Vierteln geben diese Banden immer noch den Ton an. In der britischen Provinz zeigen Meinungsumfragen eine ständig wachsende Zustimmung zu einem Zusammenschluss mit der Republik Irland - für die "Loyalisten", also jene, die kompromisslos an die Zugehörigkeit zu Großbritannien glauben, eine wachsende Bedrohung - und ein Grund, mit den Banden im Untergrund zu sympathisieren. Das Viertel in Ballymena, in dem jetzt Steine fliegen und Autos brennen, wird vor allem von Protestanten bewohnt. Der britische Union Jack hängt in den Straßen - und die Angst vor den katholischen Iren sitzt tief.
Wirtschaftskrise nach dem Brexit
Der Brexit, also der Austritt Großbritanniens aus der EU, hat vor allem Nordirland hart getroffen. Die vorher blühenden wirtschaftlichen Beziehungen zum Rest der Insel sind beeinträchtigt. Nordirland, das seit Jahrzehnten die ärmste Provinz Großbritanniens ist, hat vor allem Arbeitsplätze in der Industrie verloren. Trotzdem gibt es - wie überall in Großbritannien - eine starke Zuwanderung, aus dem Osten Europas, aber auch aus den ehemaligen britischen Kolonien in Afrika, oder Südasien. Rechtsextreme Bewegungen nützen das, um vor allem in den Sozialen Medien Hasspropaganda gegen "Ausländer" zu verbreiten - und die fällt in einer Region mit schweren sozialen Problemen auf fruchtbaren Boden. Die kriminellen Banden in den Protestantenvierteln, wie etwa die UDF ("Ulster defence force") sind mit den Rechtsextremisten inzwischen in engem Kontakt. Wut und Hass, die sich lange gegen die pro-irischen Katholiken richteten, sehen jetzt auch die Migranten als Feinde und eine Bedrohung.
Dieser Zündstoff braucht nur den kleinsten Anlass, um zu explodieren, das haben die Ausschreitungen der jüngsten Tage wieder einmal gezeigt. In Nordirland hat die Gewalt gerade in jüngster Zeit wieder zugenommen. Einmal richten sich die Proteste wie früher gegen die Katholiken, diesmal aber gegen Migranten.
Der Politik bleibt nichts anderes als schockiert zu reagieren. Der britische Premierminister Keir Starmer hat die Unruhen „aufs Schärfste verurteilt“. Nordirlands Co-Regierungschefin Michelle O'Neill sagte, es sei „purer Rassismus, anders kann man es nicht bezeichnen“. O'Neill steht an der Spitze der pro-irischen Sinn-Fein-Partei, einst der politische Arm der Terrororganisation IRA. Die Sinn Fein ist inzwischen die stärkste politische Kraft in Nordirland und hat sich von der Gewalt der Vergangenheit distanziert. Für die Protestanten aber ist auch eine friedliche Sinn Fein eine Bedrohung - und auf die reagieren manche mit Gewalt, diesmal eben gegen Migranten.
Kommentare