Gewessler zum Straßenbau: "Hanke muss aufhören, nur mehr Beton zu sehen"

Leonore Gewessler
Ex-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) kritisiert die Klimaschutzpolitik der neuen Bundesregierung scharf. Vor allem die Zerschlagung des Klimaschutzministeriums ärgert sie.
  • Leonore Gewessler kritisiert die Klimaschutzpolitik der neuen Regierung und die Auflösung des Klimaschutzministeriums.
  • Gewessler sieht die Prioritäten falsch gesetzt, da Straßenbau bevorzugt wird und das Klimaticket teurer wird, während Umweltmaßnahmen vernachlässigt werden.
  • Sie fordert alternative Lösungen für Verkehrsprojekte wie die S8 und den Lobautunnel und betont die Notwendigkeit von gescheiten Mobilitätslösungen, die mit Umwelt- und Klimaschutz vereinbar sind.

KURIER: Frau Gewessler, Sie waren mit Sebastian Kurz in einer Regierung. Wie bewerten Sie den ganzen Prozess rund um ihn, die angebliche Falschaussage im U-Ausschuss und jetzt den Freispruch? 

Leonore Gewessler:  Ich habe mir einen Grundsatz vorgenommen und auch immer danach gehandelt: Die Staatsanwaltschaft ermittelt, das Gericht arbeitet, fällt ein Urteil und das braucht von mir keine Haltungsnoten, keine Bewertungen oder keine Zurufe.  

Rechnen Sie damit, dass Sebastian Kurz nach dem Freispruch in die Politik zurückkommt? 

Auch an den Spekulationen mag ich mich nicht beteiligen. 

Kommen wir zur Regierungspolitik. Wenn Sie als ehemalige Klimaschutzministerin das präsentierte Budget betrachten, müssen Sie da nicht das Gefühl haben, dass etliches, was Sie im Kampf gegen den Klimawandel auf den Weg gebracht haben, gestoppt oder etwas zurückgenommen wird? Wie sehen Sie da die Entwicklung?

Es geht bei dieser Entwicklung jetzt weniger darum, wie ich mich fühle oder ob ich mich ärgere. Es geht um die Menschen in diesem Land. Wir haben in den letzten fünf Jahren in der Klimapolitik das Prinzip verfolgt, wer das Klima schützt, wer die Umwelt schützt und dafür einen Beitrag leistet, der soll belohnt werden. Also weniger Dreck in der Luft, dafür mehr Geld im Börserl. Und mit diesem Versprechen und mit diesem Grundsatz bricht diese Regierung jetzt. Und das ist das, was mir im Herzen so wehtut. Die, die einen Beitrag leisten wollen zum Klimaschutz, die sind jetzt plötzlich wieder die Dummen. Das Klimaticket wird über 200 Euro teurer, aber die riesigen Pick-up-Trucks, die werden wieder um tausende Euro billiger durch die Streichung der NoVa. Das ist genau verkehrt herum und das ist nur eines von vielen Beispielen, die ich da zitieren kann.

Leonore Gewessler

Leonore Gewessler beim Interview im Studio des KURIER

Ein Markenzeichen Ihrer Regierungszeit ist Ihr Umgang mit dem Straßenbau. Fast alle großen überregionalen Projekte wurden gestoppt oder evaluiert. Da scheint jetzt Ihr Nachfolger, Peter Hanke einen anderen Weg einzuschlagen.

Auch das halte ich wirklich für den komplett verkehrten Weg. Während in der Steiermark alle Fraktionen einstimmig ihre Sorge um die Regionalbahnen ausdrücken, in Oberösterreich der Landeshauptmann auf die Barrikaden steigt, dass die Regionalbahnen weiter ausgebaut werden müssen, macht Minister Hanke Folgendes: Er kürzt genau bei den Regionalbahnen, aber für den Straßenbau, fürs Betonieren durch Naturschutzgebiete, da sind offensichtlich die Milliarden da. Es ist genau verkehrt herum. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber wir haben hier Projekte aus dem letzten Jahrtausend.  Es gibt bessere Alternativen.  

Aber jetzt nehme ich das Marchfeld als Beispiel her. Da wird den Menschen seit Jahrzehnten versprochen, dass sie vom Durchzugsverkehr entlastet werden. Die vorgesehene Entlastungsstraße, die S 8, kommt aber nicht, wobei hier auch das Bundesverwaltungsgericht eingegriffen hat. Die Menschen dort sind jedenfalls frustriert.

Die S8, um die es hier geht, die hängt im gerichtlichen Verfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat gesagt, diese Straße ist nicht genehmigungsfähig und sie an den Start zurückgeschickt. Und ich habe das Land Niederösterreich wiederholt aufgefordert, bitte, setzen wir uns zusammen, planen wir Alternativen. Diese Straße ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genehmigungsfähig und die Menschen vor Ort erwarten sich, dass die Politik an alternativen Lösungen arbeitet, wie wir die Verkehrsentlastung hinkriegen. Durch andere Routen, wie mit Umfahrungen im niederrangigen Bereich, weil wir können die Menschen dort vor Ort nicht im Regen stehen lassen. Das Land Niederösterreich, konkret FPÖ-Landesrat Udo Landbauer, hat hier lieber den Kopf in den Sand gesteckt, statt dieses Gesprächsangebot anzunehmen.  

Gewessler zum Straßenbau: "Hanke muss aufhören, nur mehr Beton zu sehen"

Das Projekt Lobautunnel ist besonders umstritten.

Ein besonderes Reizthema, besonders in Wien, ist in diesem Zusammenhang der Lobautunnel. Wie gehen die Grünen damit um, wenn das Projekt, dessen Verhinderung für die Grünen ein Ansporn ist, nun doch gebaut wird?

Der Ansporn der Grünen ist es, gescheite Mobilitätslösungen für die Menschen vor Ort zu finden, die mit Klimaschutz, mit Bodenschutz, mit Naturschutz vereinbar sind. Und da zeigt sich einfach, und das sage nicht ich, das sagen die Expertinnen und Experten der TU Graz, der TU Wien, die mit dem Umweltbundesamt gemeinsam in einer umfangreichen strategischen Prüfung Verkehr auch diese Alternativen bewertet haben. Dieser Tunnel ist wirklich die schlechteste aller möglichen Alternativen. Es gibt Alternativen, die für die Menschen vor Ort besser sind, die für die Umwelt besser sind und die nicht das Naturschutzgebiet, den Nationalpark der Wienerinnen und Wiener, aufs Spiel setzen. Ich werde nicht aufhören, dafür zu kämpfen, dass auch Peter Hanke aufhört, nur mehr Beton zu sehen, sondern den Schutz der Lobau im Blick hat. 

Jetzt weiß ich nicht, wie weit Sie bei ihm Gehör finden, aber da ist ja auch noch die Stadt Wien, die ein Interesse am Lobautunnel hat.

Ich bin sehr gespannt, weil ja die Neos in der Wiener Stadtregierung sind. Der Neos-Umweltsprecher hat sich extrem klar gegen den Tunnel geäußert. Und die Neos haben im Wahlkampf wiederholt gesagt, sie stehen dem Tunnel kritisch gegenüber. Insofern erwarte ich mir hier auch auf den unterschiedlichen Ebenen von den Neos – sie sind jetzt auf beiden Ebenen in der Regierung –, dass sie ihren Worten auch Taten folgen lassen. 

Was haben Sie eigentlich gedacht, als Sie erfahren haben, dass der Klimaschutz, der ja gesamthaft bei Ihnen im Ministerium angesiedelt war, nun wieder hauptsächlich zum Landwirtschaftsministerium transferiert wurde?

Die Zerschlagung des Klimaschutzministeriums ist weit mehr als nur Symbolik. Wir haben gesehen über Jahre und Jahrzehnte, dass, wenn Klimaschutz und Umweltschutz Anhängsel der Landwirtschaft sind, das kein erfolgversprechender Weg ist. Und wenn die Energie jetzt wieder der Wirtschaft gehört und nicht den Menschen, dann sagt das viel darüber aus, wo die Prioritäten liegen. Wenn bei der Mobilität jetzt wieder der Straßenbau dominiert und nicht der öffentliche Verkehr, dann gehen auch hier die Prioritäten in die falsche Richtung. Und all das sind konkrete Auswirkungen davon, dass nicht mehr der Klimaschutz im Klimaschutzministerium die einigende Klammer ist. Das ist natürlich fatal.

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Grundsätzlich zum Klimaschutz: Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass dieser den Menschen weniger wichtig ist als noch vor wenigen Jahren?

Ohne Zweifel war und ist Klimaschutz eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Und die geht auch nicht weg und die bleibt so gravierend und so drängend, unabhängig davon, ob es gerade andere aktuelle Themen gibt, die auch da sind und wichtig sind. Und die gibt es ohne Zweifel. Wenn ich mir die Weltlage jetzt anschaue und in der Früh die Zeitung aufschlage oder das Radio anhöre: Trump und Putin, Krisen, Kriege, Überschwemmungen und sonst was, man könnte jeden Tag den Mut verlieren und verzagen. Aber vom Verzagen wird nichts besser, die Probleme gehen nicht weg, die Welt wird nicht besser. Deswegen braucht es Menschen und Parteien, die hingreifen und nicht wegschauen. Und das war auch für mich eine Motivation, für die Bundessprecherin der Grünen zu kandidieren. 

Wichtig ist natürlich für die Grünen, wie man sich in Zukunft aufstellt. Mit Klimaschutz allein werden Sie die Grünen wohl nicht mehr vorwärtsbringen.

Die Grünen waren und sind immer eine Partei mit vielen Themen, von Wirtschaft über Arbeitsplätze, über Frauenpolitik wollen wir Antworten auf viele Fragen geben. Mir ist es ein Anliegen, dass die Menschen wissen, sie können sich auch bei diesen Anliegen auf uns verlassen. Wenn es darum geht, warum gibt es in meinem Ort keine Kinderbetreuung? Wenn der Kindergarten noch immer Öffnungszeiten aus den 70ern hat und der Bürgermeister glaubt, die Mama ist zum Kochen daheim und deswegen ist der Kindergarten dann mal früher geschlossen. Bei solchen Sorgen sollen die Menschen wissen, dass sie sich auf uns verlassen können, dass wir gute Lösungen haben.  

Ein Thema, das die Grünen immer wieder plakatiert haben, ist Transparenz. Aber wenn man fünf Jahre in einer Regierung ist, verliert man nicht bei diesem Thema dann die Unschuld. Ich nenne nur den Sideletter zu Postenbestellungen, überhaupt manche Besetzungen. Grüne in der Opposition hätten das sicher stark kritisiert.

Stichwort Sideletter:  Würden wir das heute noch einmal so machen? Nein, natürlich nicht. Es ist gut, dass wir das jetzt transparent machen. Ist damit alles gelöst? Nein, nicht. Aber deswegen ist es ja so wichtig, dass wir bei manchen Themen auch viel weitergebracht haben, wie zum Beispiel beim Informationsfreiheitsgesetz. Über das ist Jahrzehnte debattiert worden in diesem Land und wir haben es in der letzten Regierungskonstellation zwischen ÖVP und Grünen gemeinsam durchgekämpft. Das ist das Ende des Amtsgeheimnisses und schafft mehr Transparenz für alle Menschen in diesem Land.

PK DIE GRÜNEN "40 JAHRE NACH HAINBURG IST EINSATZ FÜR NATURSCHUTZ AKTUELLER DENN JE": KOGLER / GEWESSLER

Leonore Gewessler soll Werner Kogler an der Spitze der Grünen nachfolgen.

Wenn Sie am Bundeskongress die Führung der Partei übernehmen werden, was ist das ganz große Ziel? Wohl die Rückkehr in eine Bundesregierung?

Das große Ziel ist jetzt einmal, möglichst viele Menschen zu überzeugen, diesen Weg mit uns zu gehen.  Und da werden wir uns alle gemeinsam ins Zeug legen, um wieder eine schlagkräftige Partei zu sein, die fest an der Seite der Menschen steht. Und ja, wir sind eine Partei mit Gestaltungsanspruch, weil die Welt wird nicht von alleine besser.  Und deshalb freut es mich jetzt sehr, jeden Tag im Burgenland zu sehen, was für einen Unterschied es macht, wenn die Grünen in einer Landesregierung sind. 

Man will natürlich auch im Bund regieren. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht mehr mit der ÖVP?

Also ich bin da wirklich sehr entspannt. Wir haben die letzten fünf Jahre durchgehend regiert, in schwierigen Zeiten und durch schwierige Krisen hindurch. Wir haben immer wieder auch bei komplexen Themen gemeinsam Lösungen gefunden, gezeigt dass die Grünen ein stabiler Partner sind und das wird auch in der Zukunft wieder so sein. Wir werden es ja jetzt auch sehen, es stehen ja einige Zwei-Drittel-Materien an, also Gesetze, die eine Verfassungsmehrheit brauchen, gerade im Energiebereich. Und da werden wir immer konstruktiv zur Verfügung stehen für Verhandlungen


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