Haftschock
Gaupmann schildert es in „Phasen“. Wer zum ersten Mal ins Gefängnis kommt, stehe unter einer Art „Haftschock“ – den erlebe jeder auf seine Art. „Manche funktionieren einfach nur, gehen hinten nach, fügen sich, sind ganz still. Auf die muss man achten.“ Das Verstummen könne ein Anzeichen für Suizidgefährdung sein. Um jene, die viel reden – mitunter auch einmal auszucken – müsse man sich weniger Sorgen machen.
Die nächste Phase sei eine der Desorientierung und der „Sozialisierung“ im Gefängnis, das ein stark hierarchisches System sei – mit eigenen Regeln und Machtstrukturen, auch unter den Insassen, erklärt Gaupmann. „In dieser Phase ist es extrem wichtig, dass die Insassen eine Beschäftigung und Tagesstruktur bekommen. Strafvollzugsbedienstete versuchen, eine Perspektive aufzuzeigen: Es wird ein Leben nach der Haft geben, aber jetzt versuchen wir gemeinsam, das Beste aus der Situation zu machen.“
Das Nicht-Beschäftigtsein stelle das größte Risiko dar, erklärt Gaupmann: „Wenn die menschliche Psyche auf Dauer alleine ist, nicht gefordert oder angeregt wird, weil die Stimulanzien fehlen, dann verkümmert sie.“
Das könne in zwei Richtungen gehen: Die einen würden in eine phlegmatische Haltung verfallen, „innerlich absterben“, schildert die Psychologin. „Sie stehen in der Früh auf, gehen abends schlafen, und dazwischen ist nichts.“
Die anderen würden in ihrer Fantasie weiterleben. Sexualstraftäter beispielsweise, die ihre Taten im Geiste weiterspinnen und perfektionieren.
Haftübel
Deshalb müsse man dafür sorgen, dass Häftlinge eben nicht 23 Stunden (bei einer Stunde Bewegung im Freien) in der Zelle sitzen, sondern sich im Rahmen von Sozialarbeit um sie „kümmern“, sie beschäftigen, ihnen Sinn und Perspektive geben.
Gaupmann tritt der Geisteshaltung in der Bevölkerung, dass Straftäter im Häfn „verhätschelt“ würden, scharf entgegen: „Ich verstehe das menschliche Bedürfnis nach Vergeltung. Wer jemanden verletzt, gehört weggesperrt, dem soll es schlecht gehen. Aber das ist zu kurz gedacht. Irgendwann kommt er wieder frei und macht da weiter, wo er aufgehört hat.“
In der Gefängnispsychologie komme es deshalb darauf an, die Bedürfnisse zu verstehen, die zur Straftat geführt haben, „und diese dann in andere Bahnen zu lenken“, erklärt sie. Nur so könne man eine Verhaltensänderung bewirken. Die Formel: „Täterarbeit ist Opferschutz.“
Bei Gewalt- oder Suchtverbrechern sei es „leichter“, sagt sie. „Sie wollen ja in der Regel nicht so leben. Viele hätten gerne, wie alle anderen auch, ein friedliches Leben. Sie wissen aber nicht, wie.“ Das könne man lernen – ein Jahr Therapie, schätzt sie, sei mindestens nötig.
Anders verhalte es sich bei Betrügern: Zwar könne auch dahinter ein Bedürfnis stecken, wo man therapeutisch ansetzen könne. Aber: Wer gut situiert ist, möchte weiter so leben. Hier gehe es eher um Moral, Ethik, Werte oder auch Empathie für jene, die geschädigt wurden – „Grundhaltungen, die ganz schwer zu verändern sind“, sagt Gaupmann.
Klar sei aus Sicht der Psychologin aber auch: Für gut Situierte sei das „Haftübel“ ein gewaltiges. „Das Gefühl, dass einem alles genommen wird, ist für jemanden, der alles hat, sicher schlimmer als für jemanden, der aus prekären Verhältnissen kommt.“
Zur Kritik in Bezug auf den Buwog-Verurteilten Grasser, dass dieser ohnehin nicht lange „sitzt“, weil er ab September mit der Fußfessel nach Hause kommen könnte, sagt Gaupmann: „Glauben Sie mir: Um das Haftübel zu spüren, reichen zwei bis drei Tage.“
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