Mit Xenon in 7 Tagen auf den Mount Everest? Alpinist erhält Morddrohungen

Es ist ein Angebot, das für Furore in Bergsteigerkreisen sorgt. Der Tiroler Expeditionsveranstalter Lukas Furtenbach will Menschen innerhalb einer Woche auf den Mount Everest und wieder retour bringen.
Normalerweise dauert eine Expedition auf den höchsten Berg der Welt mindestens sechs bis acht Wochen, damit sich der Körper an die extreme Höhe anpassen kann. Im Mai aber sollen vier britische Bergsteiger in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu und von dort ins Basislager auf 5.300 Meter jetten, nach zwei bis drei Tagen Aufstieg den 8.848 Meter hohen Gipfel erreichen und am 7. Tag wieder zurück nach Europa fliegen, so der Plan.
Kosten für die schnellste Everest-Expedition der Geschichte: 150.000 Euro. Hilfsmittel: Xenon.
Als Anästhetikum verwendet
Das Edelgas ist ein seltenes Element, das auch als Anästhetikum verwendet wird. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) führt es seit 2014 als verbotene Substanz/Methode. Bei Furtenbachs Express-Expedition sollen die Teilnehmer eine minimale Dosis Xenon - medizinisch streng kontrolliert - bereits Wochen vor der Besteigung inhalieren.
Nach 48 Stunden soll es als flüchtiges Gas nicht mehr im Körper nachweisbar sein. Aber: Es regt die Produktion des Hormons Erythropoetin (Epo) an, was zur Bildung vermehrter roter Blutkörperchen führt – und die Sauerstoffversorgung im Körper verbessert. Eine aufwendige Akklimatisierung am Berg - mehrmaliges Auf- und Absteigen - soll damit entfallen.
Das Vorhaben sorgt seit Wochen für Aufregung. So warnt etwa die Internationale Vereinigung der Bergsportverbände (UIAA) in einer Stellungnahme vor einem "Off-Label-Use ohne wissenschaftliche Grundlage und mit unbekannten Gesundheitsrisiken“. Die Österreichische Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin verweist auf KURIER-Anfrage auf die Stellungnahme der UIAA und teilt mit: "Bisher gibt es keine wissenschaftliche Datenlage, die zeigt, dass Xenon im bergsteigerischen Expeditionssetting von Vorteil ist." Die ÖGAHM empfiehlt daher auch nicht, "Xenon in der Vorbereitung auf Expeditionsbergsteigen zu inhalieren".
Marc Moritz Berger, Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Klinikum Ludwigsburg und Vorstandsmitglied der ÖGAHM, vermisst ebenfalls wissenschaftliche Daten. Xenon werde in der klinischen Routine nicht zuletzt wegen der hohen Kosten kaum eingesetzt. Es sei weder bekannt, wie hoch der Epo- oder Hämatokritspiegel (Verhältnis des Volumens aller roten Blutkörperchen zum Gesamtvolumen des Blutes) durch die Xenon-Inhalation bei den vier britischen Bergsteigern sein wird, noch ob dadurch z. B. das Risiko für Thrombosen erhöht ist. "Das sind Überlegungen, die aus der Theorie kommen, die aber nicht mit Daten untermauert und daher reine Spekulation sind", sagt er im Gespräch mit dem KURIER.
"Sterben als heldenhaft glorifiziert"
Furtenbach selbst hat das Edelgas schon fünf Mal bei Expeditionen getestet. "Jedes Mal war ich von der Wirkung überrascht und begeistert", sagt der Unternehmer zum KURIER. Von Doping, wie ihm Kritiker vorwerfen, will er nicht sprechen. Ihm gehe es nicht um einen leistungssteigernden Effekt, sondern um die Prävention von Höhenkrankheit, darum "das Höhenbergsteigen sicherer zu machen".
"Dass man dafür so viel und so harte Kritik erntet - bis hin zu Morddrohungen -, gibt es auch nur im Bergsport, wo das Sterben als heldenhaft glorifiziert wird", klagt er. Zuspruch für sein Vorhaben erhalte er vor allem aus dem angloamerikanischen Raum, aber auch von Kunden- und Bergführerseite und Expeditionsärzten. "Es scheint eine Kulturfrage zu sein."
Aufstieg in drei Wochen
Der Unternehmer weist zudem darauf hin, dass Xenon nicht das einzige Mittel zur Akklimatisierung ist, sondern Teil einer umfassenden Strategie: Die britischen Pioniere bereiten sich unter anderem mit einem Hypoxie-Training und -Schlafprotokoll über viele Wochen zu Hause vor. Die Akklimatisierungszeit sei dadurch insgesamt nicht kürzer, das Risiko am Berg aber sogar geringer als bei herkömmlichen Expeditionen, weil die Zeit in einer potenziell gefährlichen Umgebung verkürzt werde, argumentiert er.
Und: "Die Besteigung selbst erfolgt nicht nur medizinisch überwacht, sondern natürlich auch unter Verwendung von Flaschensauerstoff." Mit diesen Maßnahmen konnte sein Unternehmen "Furtenbach Adventures" bereits in der Vergangenheit Besteigungen des Mount Everest innerhalb von drei Wochen anbieten. Eine klassische, langsame Expedition über 12 Wochen ohne zusätzlichen Sauerstoff habe ein viel höheres Risiko für gesundheitliche Probleme, sagt er. "Wie eine einwöchige Expedition mit Flaschensauerstoff gefährlicher sein soll, erschließt sich uns nicht."
"'Flash-Expeditionen’ heftig diskutiert"
"In Mediziner- und Bergsteigerkreisen werden solche 'Flash-Expeditionen' heftig diskutiert", sagt Berger, der sich seit 20 Jahren wissenschaftlich mit Höhenmedizin beschäftigt. Ein wesentlicher Faktor der Kritik sei die große Menge an Flaschensauerstoff, die dabei zur Verfügung gestellt wird.
"Viel Sauerstoff verbessert natürlich die Sauerstoffversorgung des Organismus und damit auch die Leistungsfähigkeit in großer Höhe – und die Erfolgschancen auf den Gipfel des Mount Everest. Das hat also schon Hand und Fuß“, so Berger. Ob man eine solche Turbo-Expedition machen wolle oder nicht, sei aber "eine Frage des eigenen Anspruchs", sagt er.
"Denn durch die hohen Sauerstoffmengen – bis zu acht Liter pro Minute - reduziere ich im Prinzip den Gipfel des Mount Everest deutlich auf eine Höhe, die eher einem Berg unter 7.000 Metern entspricht", so Berger. "Damit entferne ich mich von den physiologischen Anforderungen, die das Expeditionsbergsteigen am Mount Everest eigentlich stellt."
Warnung vor Nachahmern
Was man beim Einsatz von viel Sauerstoff nicht vergessen dürfe: Was passiert, wenn die Versorgung nicht mehr gewährleistet ist? "Dann habe ich das Problem, dass ich vielleicht schlecht vorakklimatisiert und plötzlich dem Sauerstoffangebot der Umgebungsluft ausgesetzt bin. Dann bin ich auf die große Höhe nicht vorbereitet und es wird gefährlich."
Die Bevölkerung müsse jedenfalls gewarnt werden, "nicht irgendwo im Hinterhof oder Hotelzimmer unkontrolliert Xenon zu inhalieren, um vermeintlich die Leistungsfähigkeit am Berg zu steigern. Bei akuter Exposition kann Xenon zu Bewusstlosigkeit und im schlimmsten Fall zum Herzkreislaufstillstand führen", so Berger.
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