Expertin: Was gegen die Angst vor Vorsorgeuntersuchungen hilft

Univ.-Prof. Beate Wimmer-Puchinger im Interview zu Vorsorgeuntersuchungen und die Angst vor der Diagnose
Eigentlich. Eigentlich müsste man wieder einmal zum Arzt gehen, eine Gesunden- oder Vorsorgeuntersuchung wahrnehmen, sich durchchecken lassen ... Wäre da nicht diese diffuse Sorge: Und was, wenn dann tatsächlich etwas entdeckt wird? Die „Check-up-Angst“ führt dazu, dass Vorsorgeuntersuchungen wie etwa das Brustkrebs-Screening oder die Darmspiegelung nicht wahrgenommen werden – eine Vermeidungsstrategie, bei der die Furcht, etwas Unheilvolles zu erfahren, größer ist, als der mögliche Nutzen.
Internationale Studien zeigen, dass diese Angst aus mangelnder Gesundheitskompetenz resultieren kann: Menschen, die nicht genau wissen, was sie bei der Vorsorge erwartet und welche Bedeutung diese für die eigene Gesundheit haben kann, verzichten eher darauf. Wie bedeutend „Health Literacy“, aber auch verständliche, transparente und zielgruppengerechte Aufklärung ist, um diese Ängste und Barrieren überwinden zu können, erzählt ao. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer Psychologinnen und Psychologen. Als Frauengesundheitsbeauftragte realisierte sie zahlreiche Projekte zur Information und Gesundheitsförderung, speziell für Mädchen und Frauen in Wien, wie etwa großflächige Pilotprogramme für ein qualitätsgestütztes Mammografie-Screening.
KURIER leben: Warum meiden Menschen Vorsorgeuntersuchungen, welche Rolle spielt Angst?
Univ.-Prof. Beate Wimmer-Puchinger: Angst spielt eine Rolle, oft auf Basis eines zu geringen Wissens. Es braucht nämlich Gesundheitskompetenz, um sich möglicher Risiken bewusst zu sein. Am Beispiel Mammografie-Screening: Wenn jemand nicht weiß, wie wichtig es ist, regelmäßig eine Mammografie zu machen, wird er es nicht tun. Die Hemmschwelle ist dann größer, der Raum für diffuse Ängste ebenso. Die Menschen wissen oft nicht genug über Gesundheit. Doch nur, wer über Kompetenz verfügt, weiß, worauf es ankommt, und kann auch etwas tun.
Da geht es aber nicht nur um Wissen, sondern auch um den Glauben daran, dass Vorsorgekonzepte tatsächlich funktionieren…
Richtig. Dazu gibt es ein wunderbares psychologisches Konzept, das Health-Belief-Modell. Es erklärt, warum sich Menschen gesund verhalten oder nicht – also etwa, warum jemand zur Vorsorge geht oder eben nicht. Menschen ändern ihr Verhalten dann, wenn sie glauben, dass etwas nötig und wirksam ist – und nicht allzu schwierig. Praktisch heißt das, dass sie überhaupt wissen müssen, was wichtig ist. Dann sollten sie daran glauben, dass das, was erzählt, geraten und gesagt wird, tatsächlich stimmt. Das Vertrauen muss da sein. Drittens sollten sie wissen, was sie selbst tun können, in Form einer Verhaltensveränderung. Viertens geht es darum, daran zu glauben, dass das sinnvoll ist. Der fünfte Punkt betrifft den Glauben daran, dass etwas schaff- und bewältigbar ist.
Und welche Rolle spielen Ängste nun genau?
Gerade bei Untersuchungen wie dem Brustkrebs-Screening oder der Darmspiegelung geht es oft um das Prinzip „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“. Es ist also vor allem die Angst vor einem möglichen positiven Ergebnis. Das ist tückisch, umso mehr gilt es zu kommunizieren, was es nützt, eine Krankheit möglichst früh zu erkennen. Doch um diese Angst zu nehmen, braucht es positive Botschaften, man darf nicht mit Bedrohungsszenarien operieren, sondern mit dem Benefit. Also: Was habe ich davon? Was erspare ich mir? Wieso ist es wichtig, so etwas regelmäßig zu machen? Und was kann ich sonst noch für ein gesundes Leben tun? Wir brauchen Messages, die die Angst ausbremsen und beim Positiven ansetzen. Das gilt speziell für Untersuchungen, die etwas unangenehm sind und wo sich manche davor fürchten, dass etwas gefunden wird, wie etwa die Koloskopie, als wichtigste medizinische Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Darmkrebs.
Das Aufzeigen des Vorteils als „Medizin“ gegen die Furcht, also?
Ja, wir müssen in der Gesundheitsförderung und bei der Gesundenuntersuchung immer beim Positiven ansetzen, um die Menschen mitzunehmen. Dafür braucht es auch niederschwellige Möglichkeiten und mehr Vernetzung, um wirklich alle zu erreichen.
Haben Sie ein Beispiel?
Als ich das Frauengesundheitszentrum gegründet habe, ließ ich Info-Folder beim Friseur oder in Geschäften auflegen. Die Information muss dort sein, wo die Menschen sind und hingehen. Auch in den Betrieben muss noch mehr getan werden, denn wenn die Gesundheitsvorsorge in den Betrieb kommt, ist das eine Zeitersparnis, vor allem für jene, die Kinder haben. Da könnte noch viel mehr getan werden, im Sinne von Zugänglichkeit und Niederschwelligkeit.
Fällt Ihnen dazu eine Art Leuchtturmprojekt ein, das leicht umzusetzen wäre?
Ja. Es gibt ein tolles Konzept, das ich gerne für Österreich propagieren würde, ich habe es in einer ganz armen Gegend in Großbritannien kennengelernt. Dort wurden in Vororten mit wenig öffentlichem Verkehr Busse zur Verfügung gestellt, mit Haltestellen, wo sich Frauen zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen haben, um gemeinsam in einer Gruppe zum Mammografie-Screening zu fahren.
Spannend. Auch ein effizientes Konzept, um Angst abzubauen, oder?
Genau. Die Frauen können miteinander reden und ihre Furcht abbauen, weil sie alles gemeinsam machen. Danach können sie einkaufen gehen oder noch einen Kaffee trinken, dann wird die Gruppe wieder ins Dorf gebracht. Das finde ich großartig, denn hier wurde überlegt, wie es den Menschen möglichst leicht gemacht werden kann, eine wichtige Vorsorgeuntersuchung wahrzunehmen.
„Es tut ja nix weh, ich spüre eh nichts. Doch der Körper meldet sich erst, wenn schon was im Argen liegt.“
Das ist jetzt ein Konzept für Frauen. Wie steht es denn um die Männer? Sie gelten ja als Vorsorgemuffel – haben sie mehr Angst?
Ich denke, da geht es weniger um Angst, sondern um andere Faktoren. Männer, insbesondere solche, die weniger Zugang zu gesundheitlicher Aufklärung oder Gesundheitswissen haben, gehen nicht zur Vorsorge, weil in ihrer Wahrnehmung ein starker Mann jener Held sein muss, dem nichts fehlt. Der braucht nicht zur Vorsorgeuntersuchung. Gerade hier wäre eine Imageverbesserung wichtig, um auch die „Helden“ zu motivieren und ihnen klarzumachen, welche Vorteile eine Vorsorgeuntersuchung bringt und wie viele Troubles sie sich dadurch ersparen könnten.
Welche Rolle spielen da etwa Bilder von Unbesiegbarkeit und Unverwundbarkeit?
Es passt nach wie vor nicht in die Rolle eines tollen Mannes, sich regelmäßig untersuchen zu lassen. Sie gehen zwar ins Fitnesstraining, um ihre Muskeln zu trainieren, aber sonst? Und was den Glauben an die eigene Unverwundbarkeit betrifft: Das ist wirklich toxisch, dieses männliche Selbstverständnis des gesunden Helden, in dessen Bild Krankheit keinen Platz hat oder das Konzept, auf sich selbst zu schauen. Das wird abgelehnt, weil es „weiblich“ ist.
Ist es aber nicht auch so, dass viele Menschen Angst haben, mit dem Befund dann womöglich allein dazustehen?
Wir dürfen niemanden mit einem Befund allein lassen. Mittlerweile gibt es das Modell der „Link-Worker“, auch „Gesundheitskontakt“. Diese stellen sofort Möglichkeiten zur Verfügung oder kümmern sich um Termine, etwa für ein Bewegungs- oder ein Ernährungsprogramm. Menschen müssen auf diese Weise unterstützt werden, indem sie nicht nur den Befund bekommen, sondern auch wissen, was sie nun tun können. Auch das würde die Angst nehmen.
Welche Bedeutung hat denn Verdrängung?
Eine große. Es tut ja nix weh, ich spüre eh nichts. Doch der Körper meldet sich erst, wenn schon was im Argen liegt. Und es liegt auch am Thema Gesundheitsbewusstsein selbst. Vor allem jüngere Menschen finden es langweilig und nicht sehr sexy. Da müssen wir darüber nachdenken, wie wir diese Zielgruppen erreichen können, mit welchen Sprüchen und Claims. Es ist immer noch nicht ganz angekommen, welch hohen Wert Gesundheit hat.
Aktuell wird das Konzept „Selbstfürsorge“ gehypt. Genau betrachtet ist eine Vorsorgeuntersuchung auch eine Form von Selfcare.
Nun, die viel propagierte Selbstfürsorge ist ein Konzept, das nett klingt. Aber sie mündet nicht automatisch in eine Vorsorgehaltung. Vor allem aber erreicht die Idee von Selbstfürsorge jene Menschen, die sie am nötigsten brauchen würden, gar nicht, weil sie keine Zeit, kein Geld und keine Möglichkeiten haben. Ich bin daher gar nicht so ein großer Freund von diesem Trend, denn wenn es so einfach wäre, wären wir ja alle happy. Denn auch um Selbstfürsorge zu leben, braucht es Wissen und Ressourcen.
Gibt es Länder, in denen Vorsorgeuntersuchungen besser angenommen werden?
Skandinavien ist ein gutes Beispiel. Dort gibt es mehr Vertrauen in das Gesundheitssystem, daher nehmen die Menschen diverse Angebote eher an. Vertrauen ist etwas Wichtiges – in diese Angebote, in die Botschaften, in das gesamte System. Die Menschen müssen davon überzeugt sein, dass Vorsorgeuntersuchungen wichtig sind und zu einem längeren und gesünderen Leben beitragen. Wir müssen die Ängste durchbrechen, indem wir sagen: Diese Untersuchungen sind super, weil sie das Gefühl vermitteln können, gesund zu sein. Pumperlgesund, im besten Fall. Oder wenn es eine Kleinigkeit gibt, dass diese zu meistern ist. Es ist doch ein befreiendes Gefühl, zu wissen, dass der Körper funktioniert.
Was würden Sie als Psychologin einem Menschen sagen, der Angst vor einer Vorsorgeuntersuchung hat und deshalb nicht hingeht?
Ich würde sagen, geh hin, denn nichts ist so schlimm, als etwas zu verpassen und dann ist es womöglich zu spät. Ich habe selbst einige Freundinnen mit Brustkrebs verloren, weil es zu spät war. Je früher ich etwas weiß, desto eher kann ich etwas tun und mir helfen lassen. Als Psychologin sage ich außerdem, dass es dafür eine wichtige Voraussetzung braucht: Ich muss meinen Körper mögen – dann kümmere ich mich auch mehr um ihn.
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