Männer schweigen und zeigen sich stark, Frauen sind traurig und weinen: So lauten die stereotypen Vorstellungen, die Männern das Leben kosten können. Denn während Frauen als emotional gelten und ihre Depressionen deshalb eher erkannt werden, versteckt sich die männliche Depression oft hinter einer Fassade aus Stärke und Rückzug – ein gefährliches Missverständnis, das fatale Folgen haben kann. Generell leiden in Österreich rund 730.000 Menschen an Depressionen, Frauen sind mit 12,6 Prozent häufiger betroffen als Männer mit 7,4 Prozent, dennoch ist die Suizidrate bei Männern höher als bei Frauen. Etwa 80 Prozent der Suizidopfer sind männlich.
Und eben, weil sich Depressionen „männlich maskieren“, werden sie häufig nicht oder erst viel zu spät erkannt. Im dritten Männerbericht des österreichischen Sozialministeriums wurde dazu Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien, zitiert. Sie wies darauf hin, dass es genderspezifische Symptome für eine Depression gebe – Symptome also, die vor allem Männer zeigen.
Martin Aigner, Leitung Klinische Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin (Universitätsklinikum Tulln)
Depression bei Männern: Reizbarkeit, Zorn, Wut
Wie sich diese in der Praxis äußern, beschreibt Martin Aigner, Leiter der Klinischen Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Universitätsklinikum Tulln, so: „Bei Männern zeigen sich Depressionen eher durch eine gewisse Gereiztheit, Zorn und Wut, es kommt zu Störungen bei der Impulskontrolle und sie neigen häufig zu Alkohol- oder Substanzmissbrauch. Auch riskantes Verhalten ist durchaus üblich. Gleichzeitig meiden sie den Gang zum Arzt. In einer saloppen Zuspitzung könnte man sagen: Frauen gehen zum Psychiater, Männer gehen zum Wirten.“
Ähnliches beschreibt Anne Maria Möller-Leimkühler (Ludwig-Maximillians-Universität München) in ihrem Buch „Vom Dauerstress zur Depression“ (Verlag Fischer & Gann): „Generell fällt es Männern schwerer als Frauen einen Zugang zu ihren Gefühlen zu finden. Gerade Männer, die sich von psychischen Problemen belastet fühlen, neigen dazu, aus Gründen des Selbstschutzes diese für sich zu behalten.“ Der Hilfeschrei bleibt also aus.
Die „Male Depression“ – auch: „maskuline Depression“ – gilt zwar noch nicht als eigenständiges Krankheitsbild, doch als Phänomen ist sie mittlerweile von großer Bedeutung, weil sie aufgrund der speziellen Symptome gerne übersehen wird. Diese werden häufig als „typisch männlich“ abgetan und somit verharmlost – die erhöhte Reizbarkeit, die mangelnde Impulskontrolle, das riskante Verhalten. "So sind sie halt, die Männer", lautet das Credo.
Mitunter kommt die Depression aber auch in Form einer „Arbeitssucht“ daher, als ergänzende Strategie, um den Anschein eines „Funktionierens“ zu wahren, bis zur totalen Erschöpfung. Die Forschung und zahlreiche Studien zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen männlicher Depression und exzessiver Arbeit. So ausgebrannt können Männer aber gar nicht sein, dass sie sich Hilfe und Unterstützung holen.
Eine der Hauptgründe dafür, so Assoc. Prof. Martin Aigner, sind traditionell- gesellschaftliche Männer-Leitbilder, die über viele Jahrhunderte hinweg kultiviert wurden. Das Prinzip „Held“ ist nie aus der Mode gekommen. Ein Mann hat sich zusammenzureißen, darf sich also keinesfalls verletzlich zeigen und unterdrückt am besten seine Emotionen. Wie im Song von Herbert Grönemeyer: Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht. Außen hart und innen ganz weich. Werden als Kind schon auf Mann geeicht. Wann ist ein Mann ein Mann?
Und so tun sich die Männer nach wie vor schwer, ihre Gefühle zu zeigen, weil sie eine Fassade von Stärke wahren wollen. Der einsame Wolf, der seinen Weg geht – und daran zerbricht. Dazu Anne Maria Möller-Leimkühler: „In einer Todesanzeige für einen 43-jährigen Mann, der Suizid begangen hatte, heißt es: Nie hast du dich beklagt, nie gejammert, warst immer ausgeglichen und zufrieden, bist deinen Weg gegangen. Und als du einmal Hilfe brauchtest, wolltest du niemanden damit belasten.“
Doch auch die Ärzte selbst haben mitunter Probleme, sich von solchen überlebten und hartnäckigen Bildern zu befreien: „Passend zu dem typisch und vorwiegend körperlich-instrumentellen Verständnis von Gesundheit stehen in der Selbst- und Fremdwahrnehmung körperliche Symptome im Vordergrund, die meist zu körperlichen Diagnosen führen“, so Möller-Leimkühler. Heißt: Bei Frauen werden körperliche Beschwerden gerne mal als „psychosomatisch“ oder „psychisch bedingt“ abgetan und von Ärzten auch so diagnostiziert. Bei Männern ist es umgekehrt: Aufgrund des eher „instrumentellen“ Verständnisses ihrer Gesundheit, nehmen sie eher körperliche Symptome wahr, die dann auch häufig zu entsprechenden Diagnosen führen. Aigner: „Im Rahmen der Diagnosestellung wäre es daher wichtig, das zu beachten. Um Faktoren wie Reizbarkeit vermehrt zu berücksichtigen, ebenso wie Substanzmissbrauch oder Alkoholismus. Diese treten bei Männern mit Depressionserkrankung häufiger auf als bei Frauen.“
Die positive Nachricht: Das Konzept der „Male Depression“ ist in den vergangenen Jahren immer bekannter geworden – das Bewusstsein dafür wächst. Es gibt also Hoffnung, sagt Martin Aigner: „Wir befinden uns da gerade in einem Wandel, speziell bei den jüngeren Männern, die eine moderne Männlichkeit leben wollen. Das Rollenbild des Mannes ändert sich, das merken auch wir. Es wird daher vermehrt auf die männliche Depression geachtet, man ist dafür sensibler geworden.“ Mittlerweile gibt es etwa männlich dominierte Selbsthilfegruppen, im Sinne von: Zeig dich verletzlich, sei echt, sei authentisch. Und immer mehr Männer finden in eine Psychotherapie, um offen nach Hilfe zu suchen, weil sie vermuten, an einer Depression zu leiden. Aigner: „Das hätte man sich früher kaum vorstellen können, doch das ist sehr gut so.“
Selbsterfahrungsbericht: Ein Mann erzählt, was er aus seiner Depression lernte - die Geschichte einer persönlichen Transformation.
Drei Jahre lang dauerte die schwere Depression von Manfred Greisinger – eine Phase, die er auch als „Hinrichtung“ seines Bildes von Maskulinität empfand. Das denkt er heute darüber.
Es begann plötzlich, beschreibt Manfred Greisinger, 60, Autor und Coach, den Beginn seiner tiefen, drei Jahre lang dauernden Depression. „Ich war zu Jahresanfang 2021 auf einmal völlig antriebslos, visionslos und zog mich komplett zurück.“ Wie es dazu kam? Eine Vermutung: „2019 der Tod meiner Mutter, keine Geschwister, keine Partnerin, kein eigenes Kind, mehrere Todesfälle im nahen Umfeld, weitere Schicksalsschläge. Dazu die gesamtgesellschaftliche Ausnahmesituation der Pandemie mit diversen Restriktionen, gefolgt vom beruflichen Totalausfall als Selbstständiger. Das war zu viel.“
Irgendwann folgte der Total-Zusammenbruch – und ein Besuch beim Gemeindearzt (Greisinger wohnte damals vor allem in NÖ), der die Depression diagnostizierte. Der Schritt in die Arztpraxis war nicht einfach für ihn: „Ein Canossa-Gang, der nicht zum gängigen Männerbild passt. Ich hatte doch in meinem Leben bisher alles im Griff, hatte stets gewusst, wo es lang geht, sogar andere Menschen beraten. Auf einmal wusste ich nicht mehr weiter und sollte mir helfen lassen?“ Greisinger zog sich in seine „Höhle“ zurück, irgendwann wurde aus der noch halbwegs beherrschbaren Welle ein Tsunami: „Da checkte ich in die Psychiatrie ein, die Kapitulation meines Lebens.“
Was er damals empfand, ist für ihn noch heute schwer zu beschreiben und zu erfassen: „Ich fühlte mich nicht nur schwach, sondern als größter Loser aller Zeiten, als Totalversager, der in seinem Leben nichts auf die Reihe bekommen hat.“ Drei Jahre lang geißelte er sich Tag für Tag mit Selbstvorwürfen, die Depression nahm er als „Hinrichtung“ seines, bzw. des gesellschaftlichen Bildes von Männlichkeit. Wut, ein an sich typisches Symptom der „Male Depression“, hatte er vor allem auf sich selbst: „Das zeigte sich in Autoaggression. Ich war das größte Arschloch aller Zeiten und der absolute Nichtsnutz, das war meine tiefste Überzeugung.“
Im Herbst ’24 dann das Wunder der Wende: Die Schwärze verschwand, nach unterschiedlichsten Therapien, mehreren Aufenthalten in der Psychiatrie und Reha-Zentren. Heute ist Greisinger wieder der „alte“ – und doch auch nicht: Weil sich in ihm vieles verändert hat: „Ich bin versöhnt mit dem Mann, der aus den Trümmern des Egos herausgekrochen ist, und nun selbstbewusst, freudvoll, demütig und dankbar dasteht.“ Im Rückblick empfindet er seine Depression als überdimensionales Warnschild, das verdeutlichte, dass etwas am eigenen Leben nicht mehr stimmte. „Das Nichts in der Depression brachte mir Antworten. Am Ende hat es sich gelohnt, diese Transformation durchzumachen.“
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