Und auf den sozialen Medien verbreitet sich rasant, wenn eine junge Sängerin mal einen Ton danebenhaut.
Genau, man braucht ein viel stärkeres Immunsystem im Kopf, ein Schutzsystem. Wir konnten am Anfang noch eine Art Inkognito-Leben genießen.
Auch die Opernkritik hat sich verändert, oder?
Es ist sehr oberflächlich geworden. Alle sind „Jahrhundertstimmen“, „Ausnahmetalente“ und „Erscheinungen“. Die Besonderheit des einzelnen Talentes hat sich verlaufen. Wir sagen alle, dass wir keine Kritiken lesen, weil wir arrogant sein wollen und nicht den Kritikern die Macht geben wollen, dass wir abhängen von dem, was geschrieben wird. Aber es interessiert mich, was die Leute wie wahrgenommen haben.
Das ist einem dann schon wichtig?
Natürlich sind wir alle kleine Narzissten, sonst würden wir nur im Badezimmer singen. Wir wollen auf die großen Bühnen. Ich weiß inzwischen, dass mein bestgesungener Abend nicht immer der bestkritisierte wird. Und manchmal denke ich, also heute warte ich lieber nicht auf den Applaus – und werde dann bejubelt und die Menschen sagen mir, das war die beste und emotionalste Vorstellung. Also diesem Zauber muss man auch erst mal gewachsen sein (lacht). Deswegen sage ich: Ich weiß selber, wie gut ich war. Auch in dem Wissen, in welchem Zustand ich selber bin. Manchmal ist man nicht ausgeschlafen, manchmal krank, manchmal zu müde, manchmal hat man Bauchweh, manchmal Kopfweh. Manchmal hasse ich die Inszenierung oder hatte zu wenig Zeit für meine Kinder.
Das kann man von außen nicht wissen.
Wir hängen heute so viel von Likes und Klicks und Herzchen ab, dass das, was man im Inneren trägt, als nicht mehr so wichtig gilt. Das ist bei diesem Beruf, glaube ich, der falsche Zugang.
Aber Perfektion ist ohnehin nicht immer spannend!
An Abenden, an denen man nicht in Topform ist, gibt es eine gewisse Verwundbarkeit. Und dann schaltet man die pure Emotion ein. Wir sind Hochleistungssportler. Aber gleichzeitig beeinflusst die Energie des Tages auch, wie ein Abend vom Publikum wahrgenommen wird. Manchmal geht man raus, und du weißt: Das wird heute ein wirklich schwerer Abend. Du wirst arbeiten, arbeiten, arbeiten, bis man es doch geschafft hat. Und das ist dann ein kleiner Glücksmoment.
Wie geht man mit dem eigenen Gefühlshaushalt um? Ist es schwierig, von der Bühne zu gehen und all die Emotionen abzufangen, die man da auf der Bühne gesungen hat?
Ich habe nie all diese Charaktere gespielt, die dauernd sterben. Ich glaube, die Soprane, die dann wirklich als Aidas, Violettas, Gildas und all die anderen jeden Abend tot sind, nimmt das mehr her als die Mezzosoprane. Außer Carmen und ein, zwei anderen ist man doch eigentlich immer der Gewinner des Abends (lacht). Und ich lebe zwei Leben – das der Garanča und das der Elīna, weil ich ja auch Mutter bin. Ich kann nicht eine Vorstellung bis halb drei in der Früh im Kopf herumwälzen, weil vielleicht eine Tochter schreit und ich zu ihr muss. Ich habe Gott sei Dank nie Probleme, nach der Vorstellung einzuschlafen. Ich bin eine Lerche – ich stehe jeden Tag um halb sieben, sieben auf. Und am Abend bin ich halt müde (lacht). Ich komme nach Hause, setze mich aufs Bett und unterwegs zum Kissen bin ich schon eingeschlafen (lacht).
Sie haben gesagt: Manchmal hasst man Inszenierungen. Kann man dann trotzdem Spitzenleistungen erbringen? Oder sperrt sich dann etwas in einem und man denkt sich: Eh schon wurscht?
Nein, wurscht darf einem das nicht sein – und ist es auch nicht. Aber es ist eine gewisse psycho-emotional-physische Vergewaltigung des eigenen Ichs. Manchmal steigt man ein in Inszenierungen, die mit jemandem anderen erarbeitet wurden. Und hat dann nicht mehr diesen Auseinandersetzungsprozess mit dem Regisseur, man kann nichts ausdiskutieren. Das ist schwierig, denn man hat eine eigene Vision, eine, die durch das Musikalische und das Libretto bestätigt wird. Und dann passiert irgendetwas auf der Bühne, das keinen Sinn macht. Dann bist du unzufrieden und unglücklich. Aber die armen Zuschauer können nichts dafür. Dann muss man sein Ego und seinen Narzissmus und die eigene Vision unter den Teppich kehren und sagen: Ich diene jetzt nicht mir, sondern dem Zuschauer, und versuche doch, aus diesem Esel ein Pferd zu machen (lacht).
Klingt nicht leicht.
Es ist nicht leicht. Und meistens werden wir danach auch krank. Diese Selbstüberzeugung hinterlässt schon Spuren. Und nachher sagt man sich: den Schmutz wegwaschen und vergessen.
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