Zwei Gedenkstätten mit Dutzenden Kerzen sind vor dem BORG in Graz errichtet worden. Mittwochabend kamen Hunderte bei Gedenkfeier am Hauptplatz zusammen.
Eine Schülerin beugt sich am Mittwochvormittag zur Gedenkstätte hinunter, die ein paar Meter neben dem Eingang des BORG Dreierschützengasse in Graz aufgestellt wurde, und zündet eine Kerze an.
Ein anderes Mädchen geht an ihr vorbei, schreit die umstehenden Journalistinnen und Journalisten an und bricht dann weinend in den Armen eines Jugendlichen neben ihr zusammen.
Die Schule ist am Tag nach dem Amoklauf des 21-jährigen Schützen geschlossen. Der Haupteingang wird von zwei Polizisten bewacht, ein Kriseninterventionsteam steht bereit. Dutzende Schülerinnen und Schüler kommen mit Blumen und Kerzen in der Hand zu den zwei Gedenkstätten. Eine wird durch einen Sichtschutz von den umstehenden Passanten und Journalisten abgeschirmt.
Respekt vor den Trauernden
Gefilmt werden darf dort nur kurz. "Aus Respekt den Trauernden und ihren Angehörigen gegenüber", sagt StefanLoseries, Sprecher des RotenKreuz Steiermark. Den Schülerinnen und Schülern wurde untersagt, mit Medienvertretern zu sprechen. Auch die meisten Eltern halten sich bedeckt und wollen - oder können - nur in den seltensten Fällen über das Erlebte sprechen.
Humor, Tränen und Wut
"Mein Kind war gestern vor Ort. Ich als Mutter bin natürlich schockiert, aber gefasst. Wichtig ist jetzt, viel mit den Jugendlichen zu sprechen und sie zu begleiten, was auch immer dann kommt. Egal ob es Humor ist, Tränen oder Wut, alles darf seinen Raum haben. Das Miteinander für die Jugendlichen ist nun das Wichtigste", sagt eine Mutter, die an der Schule vorbeigeht.
Auf der anderen Straßenseite gegenüber des Schulgebäudes stehen zwei Jugendliche. Sie selbst besuchen das BORG zwar nicht, kennen aber ein paar Schüler.
"Er hat gelächelt, während er geschossen hat"
Die 16-jährige Eman schildert Beschreibungen einer Freundin, die Schülerin am BORG ist: "Sie hat erzählt, sie war am Klo und wollte wieder in die Klasse gehen. Dann hat sie den Täter gesehen, wie er lächelt, während er schießt. Dann ist sie weggerannt", schildert die 16-jährige Eman.
Eine Bekannte von Eman erzählt, sie habe gesehen, wie der 21-Jährige gelächelt habe, als er auf die Schüler schoss.
Der Täter dürfte die Gänge im Schulgebäude abgelaufen sein und versucht haben, die Türschlösser - die Lehrerinnen und Lehrer verschlossen zuvor die Türen von innen - aufzuschießen.
"Seinem besten Freund wurde in den Kopf geschossen"
"Ein Freund von uns meinte, dass der Täter in seine Klasse reingehen wollte, aber die Tür war verschlossen, er konnte nicht rein", erzählt ein Jugendlicher, der Mittwochvormittag ebenfalls zur Schule gekommen ist. "Er ist dann weitergegangen in seine alte Klasse. Dort hat er das Türschloss aufgeschossen und dann auf die Schüler in der Klasse gezielt." Er kenne einen Schüler der betroffenen Klasse: "Er hat gesehen, wie seinem bestem Freund in den Kopf geschossen wurde."
Als die Jugendlichen am Dienstag von dem Amoklauf erfahren hatten, dachten sie zunächst, es sei Fake. "So wie bei den Bombendrohungen. Die gibt es jede Woche an unseren Schulen. Ich hab meinen Freund dann geschrieben, Bro, was war das? Aber es war nicht Fake", schildert der Jugendliche weiter.
Securitys vor Schulen?
Um sich in den Schulen wieder sicherer zu fühlen - auch angesichts der zahlreichen Bombendrohungen - wünsche er sich, dass vor den Schulen Securitys abgestellt werden würden. "Niemand sollte einfach so in Schulen rein kommen."
Trauer am Hauptplatz
Schauplatzwechsel zum Hauptplatz: Auch hier versammelten sich am Mittwochvormittag Menschen jeden Alters, um der Opfer und ihrer Angehörigen zu gedenken. „Ich habe gestern über die Medien davon erfahren. Als ich heute aufgewacht bin, hab’ ich gewusst, ich muss heute unbedingt eine Kerze anzünden“, schildert Carina, eine Grazerin. Ihre Stimme zittert.
Überall in der Stadt sind an diesem Tag schwarze Fahnen zu sehen. Auch Taxifahrer Yilmaz hat an seinem Taxi ein schwarzes Band befestigt. „Ich möchte ein Zeichen setzen. Nur ein paar Stunden vor dem Amoklauf bin ich an diese Schule gefahren, weil ich ein Mädchen dort abgeliefert habe. Sie war total nervös, weil sie an dem Tag mündliche Matura hatte“, schildert der Taxifahrer dem KURIER.
Mittwochabend fanden sich Hunderte bei einer Gedenkveranstaltung ein, zu der die Muslimische Jugend Österreichs geladen hatte.
Unter den Besuchern war auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "Wir realisieren erst jetzt, was für ein Horror sich mitten in unserer Heimat ereignet hat.“ Nun sei auch die Politik gefordert: „Wenn wir zum Schluss kommen, dass das Waffengesetz geändert werden muss, dann werden wir das tun."
"Hanna, wir vermissen dich"
Ein junger Grazer betritt das Rednerpult und beginnt, von Hanna zu erzählen, seiner kleinen Schwester, die im BORG erschossen wurde. "Wenn sie jetzt da wäre, würde sie vielleicht irgendwelche Witze machen, aber ich möchte das auf meine Art machen", beschreibt er: Am Dienstag hatte er selbst Mathematik-Matura, als er vom Amoklauf an Hannas Schule hörte.
Er schrieb ihr Nachrichten – sie reagierte nicht: "Nach stundenlangem Warten wurde unser Gefühl leider bestätigt. Etwas, das ich nur aus Filmen kannte, erlebe ich grad im echten Leben." Er könne es nicht fassen, dass man ein Mädchen, das so „tapfer, energisch und lebensfroh war, so früh verlieren muss. Danke, Hanna, für die 15 Jahre, die ich mit dir erleben durfte", sagte der Jugendliche unter Tränen. "Wir vermissen dich, wir lieben dich. Ich hoffe, dass niemand mehr so etwas erleben muss."
Genau zu der Zeit, als die Schüsse am Dienstag fielen, fanden laut der Bildungsdirektion die Klausuren im Rahmen der mündlichen Matura in dem Gymnasium statt.
Matura kann nachgeholt werden
„Maturantinnen und Maturanten, deren Prüfungen unterbrochen oder ausgesetzt wurden, können selbst entscheiden, ob sie einen Ersatztermin noch vor dem Sommer wahrnehmen möchten oder ob sie erst im Herbst zu ihren Prüfungen antreten wollen“, hieß es vonseiten der Bildungsdirektion.
Graz selbst trägt auch nach außen hin sichtbar Trauer: An den Ortsschildern der Stadteinfahrten wurden Trauerflore angebracht, auch an Straßenbahnen und Bussen wurden schwarze Bänder befestigt, Veranstaltungen wurden abgesagt.#
Beim Erzherzog-Johann-Brunnen am Hauptplatz wurde die Möglichkeit eingerichtet, Kerzen im Gedenken an die Opfer zu entzünden, im Rathaus ein Kondolenzbuch aufgelegt, auf der Homepage der Stadt gibt es eine Online-Version. Für Sonntag ist mit Beginn 18 Uhr zudem eine Gedenkveranstaltung – „Wir halten zusammen“ – vor dem Rathaus angesetzt. Der steirische Landtag trifft sich am Dienstag zu einer Gedenksitzung.
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